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02. August 2014


„Wie ein glühender Funke flog dieser Kaiserliche Befehl ins Volk“
Vor 100 Jahren: Von der „Juli-Krise“ bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August


Der letzte Apell des III. Bataillons im Infanterieregiment 83 auf dem Arolser Kasernenhof: Am Sonntag, 2. August, verabschiedeten Fürst Friedrich und seine Gemahlin Fürstin Bathildis die Soldaten, die in der Nacht auf den 3. August abrückten. Sie wurden nach Belgien verlegt und erlitten vor Lüttich erste Verluste. (Foto: WLZ)

Noch ist an den Grenzen Deutschlands kein einziger Schuss gefallen, doch allen ist die Bedeutung der dürren Zeilen klar, die am Nachmittag des 1. August 1914 aus der Hauptstadt Berlin kommen. In Dörfern und Städten versammeln sich Leute im kaiserlichen Postamt, um die Neuigkeit zu erfahren. Ortsdiener verbreiten sie mit der Schelle in der Hand. Die Waldeckische Landeszeitung bringt noch am Abend ein „Extra=Blatt“ heraus: „Der Kaiser hat 5.15 Uhr die Mobilmachung der gesamten Streitkräfte angeordnet.“ Damit ist für alle absehbar: Aus dem fernen Regionalkrieg der Habsburger Doppelmonarchie Österreich-Ungarn gegen das kleine Königreich Serbien würde ein internationaler Flächenbrand werden. Ein „Weltenbrand“, der heute als der Erste Weltkrieg bezeichnet wird.

Wachsende Anspannung

Nicht nur Diplomaten, Politiker und Militärs haben in der letzten Woche der „Juli-Krise“ mit zunehmender Hektik und Nervosität gehandelt, auch viele Waldecker verfolgen die sich zuspitzenden Ereignisse mit wachsender Anspan-nung. So beschreibt es auch der Goddelsheimer Lehrer Adam Rogge in seiner Schulchronik:

„Damals hing vor alldem noch dicker, dunkler Nebel. Niemand wußte, was kommen mochte. Der Druck auf den Gemütern wurde immer schwerer, die Spannung unerträglich. Das Blut hämmerte und klopfte bestendig. [...]

Kein Mensch glaubte im Grunde mehr an Frieden. Jeder machte sich fertig zum Krieg – ohne zu wissen, was dieser Krieg bedeutete und wie er enden konnte. Die, die fort mußten, wenn es los ging, hatten nur eine Parole: Schaffen was noch zu schaffen war. Wer weiß, wo wir morgen sind! Das erste Korn wird geschnitten. Es geht früh bis spät. Jeder Wehrpflichtige will noch sein Teil leisten. Die Frau, die Mutter, der Vater werden‘s noch genug spüren, wenn zwei oder drei oder mehr kräftige junge Arme bei der Arbeit fehlen. So geht der Freitag hin. [...]

Es war bald nicht auszuhalten, der Gedanke: Wir hausen hier in unserem Waldnest, weitab aller Welt, und während wir schaffen in der Mittagsglut oder schlafen in der kühlen Nacht – kein Schlaf in unsere Augen? – ruft [...] durchs ganze Land das eine Wort das jeder fürchtet und das [...] jeder kommen sieht: Krieg! – Krieg!“

An diesem Samstag, 1. August, entlädt sich die Anspannung mit einem Schlag, die Entscheidung ist gefallen, die Phase der Ungewissheit beendet. Bis zuletzt haben Botschafter und Regierungsmitglieder europaweit hektisch telegrafiert, telefoniert und Noten ausgetauscht. In mehreren Bänden hat das Auswärtige Amt 1922 den Schriftverkehr veröffentlicht – es geht um die Frage der Kriegsschuld. Allein zum 1. August sind 84 Dokumente abgedruckt, sie füllen 65 Seiten.

Bis zuletzt haben Kaiser Wilhelm II. und der russische Zar Nikolaus ihre Depeschen freundschaftlich mit „Dein Dir ergebener Freund Willy“ oder „Nicky“ unterzeichnet. Beide haben die Möglichkeit verspielt, die forsch vorpreschen-den Kriegstreiber zu stoppen. Sie fügen sich ihren bis zur Arroganz siegesgewissen Generalstäblern.

Beide Monarchen sind zu schwach, um die zentrale Rolle auszufüllen, die ihnen ihre Verfassungen zuweisen. Sie lassen sich treiben. Sie lassen sich hineinziehen in den immer stärker werdenden Strudel aus Bündnispflichten und scheinbaren militärischen Erfordernissen. Ein Sog, der sich zunehmend verselbstständigt: Alle Zeichen stehen auf Krieg.

Nach Wien hat sich auch in Berlin die Fraktion durchgesetzt, die schon seit 1908 Präventivkriege gegen die miteinander verbündeten Nachbarn Frankreich und Russland gefordert hat. Und in Sankt Petersburg und Paris sehen Militärs ebenfalls ihre Chance gekommen, um endlich loszuschlagen. Aber warum? Es gibt in diesen Tagen nicht einmal klar umrissene Kriegsziele. Die werden erst Monate später formuliert. So scheint ein Automatismus abzulaufen, ein fallender Dominostein reißt den nächsten mit, bis der Krieg da ist: Zar Nikolaus hat schon am 30. Juli die Generalmobilmachung angeordnet und so eine Kette von Ultimaten ausgelöst, die jegliche Friedensbemühungen hintertreiben. Die Österreicher und Belgier geben ihre Generalmobilmachung am 31. Juli bekannt. Die Franzosen haben sie an jenem 1. August bereits um 15.55 Uhr verfügt. Die Briten mobilisieren ihre Kriegsflotte. Und nun also noch Deutschland als Großmacht im Herzen Europas.

Ein gigantisches militärisches Räderwerk setzt sich in Betrieb. Allein Deutschland verfügt über sechs Geschwader und fünf Aufklärungsgruppen der kaiserlichen Marine sowie über 25 Armeekorps des deutschen Heeres mit 794000 Mann, die nun durch einberufene Reservisten ergänzt würden. Deshalb schwant auch vielen Familien in Waldeck nichts Gutes, sie würden schon bald ihren „Einbestellungsbefehl“ erhalten.


Arolsen am 2. August1914: Der Erste Weltkrieg war ausgebrochen. Das waldeckische Bataillon zog von der Kaserne durch die Residenzstadt zum Bahnhof - hier die Kolonne mit den Spielleuten vorweg in der Bahnhofstraße. Mit dem Zug ging es an die Westfront. (Foto: Atelier Huffert, Arolsen)

Arolser Bataillon gerüstet

In Jahrzehnten haben Militärs und Beamte an den Planungen gefeilt: Aufmarschstrategien, Logistik, Alarmierungspläne, sogar die Aufgaben und Stärke der Sanitätskolonnen in Waldeck und Standorte für Lazarette sind bis ins Detail bedacht. Der Apparat beginnt zu arbeiten wie unzählige Male geübt.

Und so laufen an jenem Samstag, 1. August, auch in der Arolser Kaserne an der Großen Allee die Kriegsvorbereitungen auf Hochtouren. Ergänzungsmannschaften treffen ein, jede der vier Kompanien wird um rund 20 Mann aufgestockt.

Das III. Bataillon des Infanterieregiments 83 hat sich bereits darauf eingestellt, dass es abrücken muss. Das geht auch aus der Schulchronik Rogges hervor, der am Donnerstag, 30. Juli, auf dem Rückweg aus Kassel im Zug die Mutter zweier Soldaten trifft. Er schreibt:


„Seine Durchlaucht Fürst Friedrich mit Erbprinz Josias und Prinz Max“ steht unter diesem Bild, das in der Chronik des Infantrie-Regiments 83 wiedergegeben ist. Fürst Friedrich trug den Ehrentitel „Regimentschef“. Er diente als General der Kavallerie. Sein ältester Sohn Josias meldete sich im August 1914 freiwillig, zum Militärdienst, er schied 1918 als Oberleutnant aus. Sein zwei Jahre jüngerer Bruder Max wurde später eingezogen. (Foto: WLZ)

„Unter Tränen und weit und weit schweren Herzen erzählte sie von ihren beiden Jungs, die aktiv bei den Dreiund-achtzigern dienten. Sie hätte schon von ihnen Abschied genommen. In der Kaserne. In der Kaserne ginge es bunt zu. Die Soldaten hätten schon ihr Feldgraues Werk‘ empfangen. Ein Appel jage den anderen und morgen ginge es be-stimmt los. Sie würde wohl ihre Jungs zum letzten Mal gesehen haben. Ihr banges Herz hatte recht gehabt. Der Krieg kam. Wenn auch noch nicht anderen Tags, so doch immer noch geschwind genug.

Die trüben Ahnungen betreffs ihrer Jungens sind freilich nicht bis jetzt zu ihrer Freude in Erfüllung gegangen. Sie leben heute noch beide. [...] Und das will für einen Infanteristen in diesen Kriege etwas heißen.“

Die Szene offenbart noch etwas anderes: Von Kriegsbegeisterung ist in Waldeck offenbar kaum etwas zu bemerken. Die Sorgen überwiegen. Die unmittelbar einsetzende Propaganda spricht von einem überbordenden Patriotismus, auch die WLZ berichtet von einer großen Kundgebung im Berliner Lustgarten. Bekannt sind die Bahnwaggons, auf die Soldaten mit Kreide „Weihnachten in Paris“ geschrieben haben. Rogge zeichnet ein anderes Bild:

Die Mobilmachung. Deutschland im Kriegszustand! Wie ein glühender Funke flog dieser Kaiserliche Befehl in unser Volk im Lauf des Sonnabends noch. Damit stieg die Erregung und Spannung.

Jeder wußte, das war nicht nur eine Spannung zum Bluff, Spuk oder Spaß. Das war bitterer Ernst. Von Stund an konnte jede Minute [...] unseres Kaisers letztes Wort uns bringen. Es wird mobil gemacht.

Niemand im ganzen Dorf war so in Aufregung wie unser Postagent. Die ganze Nacht hatte er bereits am Apparat gewacht. Fortwährend ging der Fernsprecher. Ein Gespräch jagte das andere. Ein Telegramm überholte das andere. Die Leitung war ständig besetzt – von Behörden, von Privatpersonen. Jeder wollte noch vor Toresschluß geschwind das Wichtigste in Ordnung bringen. Da gegen & Uhr abends wurde das unaufhörliche nervöse Klingeln und Rasseln unterbrochen durch ein besonders scharfes Zeichen des Apparats [...]

Die Nachricht von der Mobilmachung trifft auch in Goddelsheim ein. Der Ortsdiener, „der alte Schütz“, verkündet sie. Er läuft mit seiner „Rappel“ durch die Straßen. Schweren Herzens, wie Lehrer Rogge mitteilt:

So riß doch jeder Tür und Fenster auf und hörte, was er, der Alte, der selbst drei Söhne und zwei Schwäger stellen mußte, mit bekümmerten Gesicht und beklommener Stimme von seinen kleinen Brett vorlas, die kurzen inhaltsschweren Worte:
,Seine Majestät der Kaiser hat die Mobilmachung befohlen. Der erste Mobilmachungstag ist der 2. August.‘


Ende Juli 1914 erhielten die Arolser Infanteristen ihre feldgrauen Uniformen. Der Krieg rückte näher.. (Foto: WLZ)

„Schlag auf alle Herzen“

Im ersten Augenblick, früher wie ein dumpfer Schlag auf alle Herzen. Einer schaute den anderen betroffen an. Was war das für ein Wort? Mobilmachung? Und morgen ist der erste Tag? Ist‘s wahr? Ist‘s wirklich wahr?

Doch das war eben nur der erste Augenblick. Alsbald gings wie ein heißes Aufatmen durch alle Herzen. Die entsetzliche Spannung war gelöst. Der Druck war endlich gebrochen. Die Glut unter der Decke hatte Luft gekriegt. Was war das oben im Dorf? Ein fernes Klingen und Singen? Wahrhaftig: Jung-Deutschland fand den ersten rechten Ton. Die jungen Burschen, die zuerst dran kommen, die Reservisten die noch vor einem halben Jahr den bunten Rock getragen hatten – in langen Ketten, Arm in Arm, so breit die Gasse war, kamen sie daher und sangen – sangen aus voller Kehle. Kein Mensch wußte, wie sie‘s fertig brachten. Immer wieder sangen sie das eine:
,Heimat, o Heimat, ich muß dich verlassen!‘ [...]“

Klingt da Patriotismus an? Oder versuchen die Burschen, sich Mut zu machen? Im „Amtlichen Teil“ der WLZ ruft der Kreisamtmann zu Corbach auf:

„Das Publikum wird dringend ersucht, die nötige Ruhe und Besonnenheit zu bewahren und alles zu vermeiden, was geeignet ist, die öffentliche Ruhe und Ordnung und insbesondere den Fortgang der Mobilmachung zu stören.“

In der Hauptstadt des Fürstentums ist die Stimmung trotz patriotischer Töne eher gedrückt. Die WLZ schildert:

„Arolsen, 3. Aug. Endlich ist die gewaltige Spannung gelöst, die während der letzten Woche auf uns lastete. Es ist Wirklichkeit geworden: Wir haben Krieg. Sonnabend nachmittags nach 5 Uhr verkündete die Trommel die Mobilmachung. Gleich darauf eilten die Leute hastend und jagend durch die Straßen, überall die Schreckensstunde ausstoßend. Doch auf den verstörten Gesichtern zeigte sich bald der entschlossene Wille, das Unvermeidliche mit Würde zutragen.

Unsere Soldaten zeigten sich sehr gefaßt. Sie bewahrten mitten in der sie umgebenden nervösen Unruhe eine bewundernswerte Standhaftigkeit. Manche gebrochene Eltern haben sich an ihren mutigen Söhnen wieder aufgerichtet. Es war für uns alle erhebend, zu sehen, wie unsere Soldaten mit festem, freudigen Vertrauen auf den Sieg dem Kampfe entgegensehen.

Sorge statt Jubel

Die Forschung hat sich mit den Bildern jubelnder Männer beschäftigt, mit dem Überschwang, in dem siegesgewisse Soldaten Sprüche wie „Zum Frühstück nach Paris“ an Bahnwaggons geschrieben haben. Auf dem Land scheint die Kriegsbegeisterung kaum ausgeprägt zu sein, die Leute sorgen sich um die Ernte, sie bangen um die Söhne und Väter, die ausrücken müssen und womöglich nicht wiederkehren. Auch in der Arbeiterschaft sorgt des Kaisers Krieg nicht für Euphorie – sie ist abgesehen vom Korbacher Gummiwerk in Waldeck allerdings kaum vertreten.

Wirkliche Begeisterung machen Historiker nur im aufsteigenden Bürgertum aus. Bei ihm kommen der von Wilhelm II. geprägte Pomp und Pathos an. Es trägt die nationalistischen Ansichten und imperialen Ansprüche ihres Kaisers mit, es hat das Flottenbauprogramm unterstützt, es teilt die Sehnsucht des Kaisers nach Kolonien, nach Deutschlands „Platz an der Sonne“. Es bejubelt die „schimmernde Wehr“ und sieht es als Ehre an, „gedient zu haben“ und womöglich Reserveoffizier zu sein.

Und es wird in den nächsten Jahren fleißig Kriegsanleihen zeichnen. Es ist auch der große Verlierer des Krieges. Die Anleihen? Wertlos. Und dann frisst die Inflation als Kriegsfolge noch die letzten Ersparnisse auf. Wolfgang Mommsen spricht daher vom Weltkrieg als „Ende des bürgerlichen Zeitalters“.

Die Russen greifen an

Noch am Abend des 1. August kommt es zu ersten Kämpfen. Die Deutschen haben den Russen ein Ultimatum gestellt, ihre Mobilmachung zurückzunehmen. Weil sie nicht antworten, lässt Wilhelm am Nachmittag Heer und Marine mobilmachen – beim Regimentsstab der „83er“ in Kassel trifft das entsprechende Telegramm des Generalkommandos um 18.25 Uhr ein.

Schon kommt die nächste Stufe der Eskalation: Um 19 Uhr übergibt der deutsche Botschafter Pourtalès in Sankt Petersburg dem russischen Außenminister Sergei Dmitrijewitsch Sasonow die Kriegserklärung. Außerdem setzt die oberste Heeresleitung den Aufmarschplan nach Schlie4ens Strategie in Kraft. Überraschenderweise überqueren russische Truppen noch am Abend die ostpreußische Grenze.

Das Abschlachten geht los

In der Mittwoch-Ausgabe berichtet die WLZ auf Seite 1 über die Ereignisse am Sonntag, 2. August, in Arolsen:

„Der Kasernenhof des hiesigen Bataillons war gestern in später Nachmittagsstunde der Schauplatz einer ernsten tiefergreifenden Feier. Um 7.45 Uhr stand das Bataillon zum Abmarsch gegen den Feind im offenen Viereck bereit. Um Zeugen des Abschieds zu sein, nahmen I.I.D.D. der Fürst und die Fürstin mit dem Erbprinzen und dem Prinzen Max, diese beiden ebenfalls in der Uniform des Bataillons, mit Prinzessin Helene und Prinz Georg Wilhelm vor dem Bataillon Aufstellung. In tiefer Bewegung richtete der Fürst an die Truppe die folgenden Worte:

,Kameraden, liebe Landeskinder! Die Russen haben die Grenze überschritten, dadurch hat der Krieg begonnen und in Frankreich wird mobil gemacht. Das Vaterland ist in Gefahr, hat Euch nötig und erwartet, daß Ihr alle Eure Pflicht tun werdet, wie es vor 44 Jahren Eure Väter getan haben mit besonderem Opfermut und Treue. Auch heute schon zeigen sich hiervon glänzende Beispiele. [...] Ich habe Seine Majestät den Kaiser gebeten, mir zu gestatten, in Eurer Nähe den Feldzug mitmachen zu dürfen. Ich hoffe, bald mit meinem Sohn, dem Erbprinzen, Euch folgen zu können. Wenn es draußen Ernst wird, so denkt daran, daß Eure Väter und Mütter, Eure Geschwister von Euch erwarten, daß der Feind nicht ins Land kommt. So gehet hin mit Gott! – Daß wir unsere P1icht tun werden, bekräftigen wir mit dem Rufe: Seine Majestät der Kaiser und unser geliebtes Deutsches Vaterland, Hurra!‘

An dem Denkmal auf dem Kaiserhof nahm sodann der Fürst, neben den zum letzten Abschied die Fürstin [...] getreten war, den Vorbeimarsch des abziehenden Bataillons entgegen. Sodann fuhr der Landesherr mit dem Erbprinzen Josias zur Bahn, zum Zuge, um Zeuge der Abfahrt zu sein. Gott schütze die tapferen Söhne Waldecks und Pyrmonts und führe sie zum Siege. [...]“

Im Lokalteil schreibt die Zeitung über den Sonntag weiter:

„Sonntag morgen um 8 Uhr fand Militärgottesdienst statt. Danach nahmen unsere Soldaten das hl. Abendmahl, an der Feier nahmen auch I.I.D.D. [Ihre Durchlauchten] der Fürst, die Fürstin und die Prinzen Josias und Max teil. Seit Sonnabend treffen ununterbrochen Reservisten ein. Die ganze Stadt zeigt ein anderes Bild. Jedes friedliche Gewerbe ruht. Pferde, Autos und Wagen stehen im Dienste der Mobilmachung. [...]“

Die Militärmaschinerie läuft weiter, niemand scheint mehr den Automatismus abbrechen zu wollen, der zu einem weltweiten Krieg führt: Frankreich antwortet nur ausweichend auf das deutsche Ultimatum, seine Neutralität zu erklären. Außerdem soll es die Rhein-Grenze verletzt haben. Deshalb bekommt Paris am Montag, 3. August, die deutsche Kriegserklärung zugestellt.


In der WLZ erscheint am 3. Aufust 1914 dieser Aufruf von Fürst Friedrich zu Waldeck und Pyrmont.

An die belgische Front

Schlieffens Plan gilt, und das waldeckische Bataillon steckt mittendrin. Mit der Bahn fährt es bis ins Aufmarschgebiet rechts des Rheins. Am Dienstag, 4. August, überschreiten die drei Bataillone des Infanterie-Regiments 83 um 9 Uhr die deutsch-belgische Grenze. Die Waldecker bilden unter dem Kommando von Major Brosig die Vorhut. Wegen der Verletzung der belgischen Neutralität erklären die Briten noch an diesem Tag Deutschland den Krieg und verlegen Truppen auf den Kontinent. Damit kämpfen die Großmächte der „Tripple Entende“ gegen Deutschland und Österreich-Ungarn. Auch aus Belgien geht umgehend die Kriegserklärung nach Berlin.

Dort tritt an diesem Tag der Reichstag zusammen. In einer pathetischen Rede beteuert der Kaiser, seine Regierung habe sich bis zuletzt bemüht, „das Äußerste abzuwenden“. Doch die Feindseligkeiten der Nachbarn in Ost und West seien nun „zu hellen Flammen aufgelodert“.
Das Reich müsse sich „in Notwehr“ verteidigen:

„Uns treibt nicht Eroberungslust, uns beseelt der unbeugsame Wille, den Platz zu bewahren, auf den Gott uns gestellt hat, für uns und alle kommenden Geschlechter.“

Die Parlamentarier beschließen geschossen, Kriegskredite zu gewähren und eine Kriegsanleihe über fünf Milliarden Mark aufzulegen. Auch die gern als „vaterlandslose Gesellen“ gescholtenen Sozialdemokraten sind dabei – das Wort vom „Burgfrieden“ prägt sich ein. In seiner Thronrede beschwört Wilhelm II. die politische Geschlossenheit der Deutschen:

„Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! Zum Zeichen dessen, dass sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschied, ohne Stammesunterschied, ohne Konfessionsunterschied durchzuhalten mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod zu gehen, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben.“

Am Donnerstag gerät das waldeckische Bataillon erstmals in ein Gefecht. Vor Lüttich erleidet es die ersten schweren Verluste. Gevatter Tod erhält bis 1918 noch reichlich Ernte … (-sg-)


„Jeder Stoss ein Franzos - Zum Frühstück Auf nach Paris…“ Solche Bilder liebte die deutsche Kriegspropaganda: Jubelnde Männer der Landwehr rücken aus in den Krieg.
(Foto: WLZ)

August 1914 am Korbacheer Bahnhof: Einberufene Männer werden verabschiedet, sie müssen sich bei ihren Einheiten melden. von Kriegsbegeisterung ist nichts zu merken.
(Foto: WLZ)

Quellen:

Auswärtiges Amt (Herausgeber), Deutsche Dokumente zum Kriegsausbruch 1914, Band III, Berlin 1922.
Max Clausius (Bearbeitung), Infanterie-Regiment v. Wittich (3. Kurhessisches) Nr. 83, Oldenburg/Berlin 1926 (Erinnerungsblätter deutscher Regimenter, Band 176.

Literatur:

Volker Berghahn, Der Erste Weltkrieg, München 2006.
Wolfgang J. Mommsen, Der Erste Weltkrieg. Anfang vom Ende des bürgerlichen Zeitalters, Bonn 2004.
Sönke Neitzel, Weltkrieg und Revolution 1914-1918/19, Berlin 2008.

© "Mein Waldeck" WLZ Sa, 2. August 2014 mit freundlicher Genehmigung von Dr. Karl Schilling
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